In modernen Klassenzimmern und im Fernunterricht ist die Bereitstellung barrierefreier Lesematerialien mehr als nur eine rechtliche oder technische Anforderung – sie ist eine Frage der Chancengleichheit. Blinden oder sehbehinderten Schülern eröffnen barrierefreie Lesematerialien die Möglichkeit zum Lernen, zur Unabhängigkeit und zur Teilnahme an gemeinsamen Lernprozessen.
In diesem Beitrag untersuchen wir bewährte Strategien, Tools und Denkweisen, die Lehrer, Betreuer, Techniker und Familien nutzen können, um sicherzustellen, dass Lernmaterialien wirklich zugänglich sind.
Barrierefreies Lesematerial verstehen
Wenn wir von barrierefreiem Lesematerial sprechen, meinen wir Texte und zugehörige visuelle Inhalte, die so angepasst oder erstellt wurden, dass Schüler mit Sehbehinderung sie möglichst selbstständig lesen und verstehen können. Dazu gehören Formate wie Braille, Großdruck, digitaler Text (E-Text), Audio und taktile Grafiken.

Barrierefreie Unterrichtsmaterialien (AIM, auch Accessible Educational Materials oder AEM genannt) werden so konzipiert oder konvertiert, dass sie für unterschiedliche Lernbedürfnisse eingesetzt werden können. Die Wahl des Formats hängt von den Bedürfnissen des jeweiligen Schülers ab (z. B. ob er Braille liest, über Restsehvermögen verfügt oder Audio bevorzugt).
Ein guter erster Schritt ist eine Lernmedienbewertung (LMA), die dabei hilft, die besten Medien (visuell, taktil, auditiv) für den Schüler zu bestimmen.
Warum Barrierefreiheit wichtig ist
Barrierefreies Lesematerial ist kein „nice to have“, sondern unerlässlich für Inklusion und akademischen Erfolg. Ohne dieses Material hinken sehbehinderte Schülerinnen und Schüler ihren Mitschülern beim Zugang zu Inhalten, beim Verständnis und bei der Teilnahme oft hinterher.
Hier sind einige wichtige Gründe:
- Gleichberechtigung beim Zugang: Wenn Materialien nicht zugänglich sind, müssen die Schüler wochenlang auf alternative Formate warten und verlieren so wichtige Lernzeit.
- Unabhängigkeit: Die Schüler können sich direkt mit den Materialien beschäftigen, anstatt immer auf Assistenten oder sehende Mitschüler angewiesen zu sein.
- Bessere Ergebnisse: Zugängliche Formate reduzieren Müdigkeit und Frustration und lassen mehr Energie für das eigentliche Lernen übrig.
- Universeller Nutzen: Viele Barrierefreiheitspraktiken (klare Überschriften, Alternativtext, guter Kontrast) helfen auch Lernenden ohne Sehbehinderung.
Das Verständnis dieses „Warum“ trägt dazu bei, die Einführung barrierefreier Praktiken in Klassenzimmern, Schulen und bei der Veröffentlichung von Inhalten zu fördern.
Best Practices für textbasiertes Material
Nachfolgend finden Sie praktische Schritte, die Sie beim Erstellen oder Anpassen von Lesematerialien anwenden können:
- Verwenden Sie klare Strukturüberschriften (H1, H2, H3), damit Screenreader (Software, die Text vorliest) navigieren können.
- Halten Sie die Absätze kurz (2–4 Sätze), um die kognitive Belastung zu verringern.
- Vermeiden Sie mehrspaltiges Layout oder in Bilder eingebetteten Text.
- Verwenden Sie in Dokumenten integrierte Überschriften im Stil (anstelle einer manuellen Schriftgröße), damit die Metadaten zur Barrierefreiheit erhalten bleiben.
- Geben Sie Alternativtext/Bildbeschreibungen für Bilder und Diagramme an. Wenn ein Bild Text enthält, fügen Sie diesen Text in das umgebende Dokument ein.
- Verwenden Sie einen hohen Kontrast zwischen Text und Hintergrund und eine gut lesbare serifenlose Schriftart (z. B. Arial, Verdana).
- Verwenden Sie einen Zeilenabstand (1,5–2,0) und vermeiden Sie beengte Layouts.
- Fügen Sie zur Erleichterung der Navigation ein Inhaltsverzeichnis oder Seitenzahlen hinzu.
- Führen Sie beim Konvertieren in das PDF- oder Webformat einen Barrierefreiheits-Checker aus, um fehlenden Alternativtext, schlechten Kontrast oder strukturelle Probleme zu finden.
Diese Vorgehensweisen bilden die Grundlage. Als Nächstes betrachten wir die Formatoptionen (Braille, Audio usw.) und wie diese integriert werden können.
Formatoptionen: Braille, Großdruck, Digital und Audio
Jeder Studierende profitiert je nach seinen Bedürfnissen und Vorlieben von unterschiedlichen Formaten. Hier ein Überblick:
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Blindenschrift
Blinde Schüler oder Schülerinnen und Schüler mit eingeschränkter Sehkraft verwenden häufig Braille. Aktualisierbare Braillezeilen (Hardwaregeräte) ermöglichen den Zugriff auf digitale Texte. Braille unterstützt außerdem Rechtschreibung, Zeichensetzung und höhere Lese- und Schreibfähigkeiten besser als reine Audiodarstellung.
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Für Schüler mit Restsehvermögen trägt eine große Schrift (z. B. 16–18 pt oder größer) mit hohem Kontrast und klarer Schriftart dazu bei, die Belastung zu verringern.
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Digitaler Text / E-Text
Digitale Formate (z. B. EPUB, barrierefreies PDF, HTML) können in der Größe angepasst, von Bildschirmleseprogrammen vorgelesen und über Überschriften oder Links navigiert werden.
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Audio/DAISY oder andere intelligente Audioformate
DAISY (Digital Accessible Information System) ermöglicht eine umfassende Navigation (Kapitel, Seite, Suche) in Hörbüchern oder Materialien. Audio ist besonders nützlich für lange Texte, aber idealerweise in Kombination mit Lese- und Schreibunterricht. -
Taktile Grafiken und zugängliche Diagramme
Visuelle Darstellungen (Diagramme, Grafiken, Karten) sollten durch taktile Versionen oder detaillierte Sprachbeschreibungen ergänzt werden. Es entstehen neue Tools und Forschungsergebnisse (z. B. TADA für Knoten-Link-Visualisierungen).
Duale Medien sind oft die beste Lösung Beispielsweise wird sowohl Braille als auch Audio angeboten, sodass der Schüler wählen oder wechseln kann.
Arbeitsablauf: So planen und liefern Sie barrierefreie Materialien
Um sicherzustellen, dass die Barrierefreiheit nicht in den Hintergrund tritt, können Sie einem klaren Arbeitsablauf folgen:
- Materialien frühzeitig sammeln: Fordern Sie Kurstexte, Arbeitsblätter, Folien vorab an, damit diese angepasst werden können.
- Bestimmen Sie das/die bevorzugte(n) Format(e) des Schülers: Verwenden Sie zur Orientierung eine Learning Media Assessment (LMA).
- Materialien konvertieren oder erstellen: Verwenden Sie Tools oder Dienste (z. B. RoboBraille), um Dokumente in Braille, Audio, getaggte PDFs usw. zu konvertieren.
- Barrierefreiheit prüfen: Verwenden Sie Barrierefreiheitsprüfer (in Word, Adobe Acrobat oder Webtools), um fehlenden Alternativtext, Überschriften oder Kontrastprobleme zu finden.
- In nutzbaren Formen verteilen: Stellen Sie mehrere Formate (Braille, Audio, E-Text) bereit, damit die Schüler auswählen können, was am besten funktioniert.
- Navigation lehren: Zeigen Sie dem Schüler, wie er Bildschirmleseprogramme, Lesezeichen, Navigation nach Überschriften usw. verwendet.
- Holen Sie Feedback ein: Fragen Sie den Schüler, was funktioniert und was verbessert werden muss. Passen Sie die Vorgehensweise entsprechend an.
Dieser Arbeitsablauf fördert proaktive Planung statt Hektik in letzter Minute. Er unterstützt außerdem das Universal Design for Instruction, das den Lernprozess von Anfang an für alle Schüler konzipiert.
Tools und Technologien, die helfen
Hier sind nützliche Tools, die die Zugänglichkeit beschleunigen können:
- RoboBraille : ein Online-Dienst (Web oder E-Mail) zum Konvertieren von Dokumenten in die Formate Braille, MP3 und E-Text.
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Barrierefreiheitsprüfungen in Microsoft Word, Adobe Acrobat oder anderen Plattformen helfen dabei, fehlenden Alternativtext, schlechten Kontrast oder strukturelle Probleme zu erkennen.
- Assistierende Technologien wie Bildschirmleseprogramme (JAWS, NVDA, VoiceOver), aktualisierbare Braillezeilen, Vergrößerungssoftware und Text-to-Speech-Engines unterstützen die Schüler beim Zugriff auf digitale Texte.
- KI und Forschungstools
- Erforschen Sie neue Systeme wie Audemy, eine KI-gestützte Audio-Lernplattform für blinde Schüler, die reaktionsschnelles, personalisiertes Audio-Lernen bietet.
- Tools wie TADA machen Diagramme durch Berührung und Audiointeraktion zugänglich.
- Authoring-Tools mit Barrierefreiheitsfunktionen, Plattformen wie Google Docs, Word mit Stilen und Bildungsplattformen mit integrierter Barrierefreiheitsunterstützung vereinfachen die Erstellung barrierefreier Inhalte.
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SpeechLabel ist ein intelligentes Tool, das Sprachbefehle und Audio-Labels nutzt, um sehbehinderten Lesern die Navigation in gedruckten und digitalen Materialien zu erleichtern. Erfahren Sie mehr im ausführlichen Leitfaden „ Barrierefreies Lesen“ .
Diese Tools vereinfachen den Prozess, ersetzen jedoch kein durchdachtes Design oder Benutzerfeedback.
Herausforderungen, Mythen und wie man sie überwindet
Selbst Pädagogen und Autoren mit guten Absichten stoßen manchmal auf Hindernisse oder Missverständnisse. Hier sind häufige Probleme und wie man sie löst:
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Mythos: Digital = Zugänglich:
Nur weil eine Datei digital ist, heißt das nicht, dass sie zugänglich ist. Vielen digitalen Dateien fehlt Alternativtext, die richtige Struktur oder die Kennzeichnung.
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Zeit- und Kostenbedenken:
Das Konvertieren von Materialien kann einige Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere bei komplexen Arbeiten (Mathematik, Diagramme). Eine frühzeitige Planung und die Verwendung von Konvertierungstools helfen, dies zu vermeiden.
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Zurückhaltung bei der Verwendung von Braille- oder taktilen Inhalten:
Manche glauben, dass Audio ausreicht, doch sich ausschließlich auf Audio zu verlassen, kann die Entwicklung der Lese- und Schreibfähigkeiten einschränken. Braille ist für viele Lernende nach wie vor unverzichtbar.
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Feedback ignorieren:
Ohne die Einbeziehung der Studierenden können Ihnen Usability-Probleme entgehen. Testen Sie Materialien immer mit echten Benutzern und überarbeiten Sie sie.
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Diagramme oder Grafiken übersehen:
Diese werden bei der Konvertierung oft ignoriert. Verwenden Sie konsequent taktile Grafiken oder detaillierte Beschreibungen.
Indem Pädagogen sich diesen Herausforderungen stellen und Barrierefreiheit als unverzichtbar und nicht als optional betrachten, können sie umfassendere und inklusivere Materialien bereitstellen. Lesen Sie unseren ausführlichen Leitfaden zum Thema barrierefreies Lesen.
Alles zusammenbringen: Beispielszenario
Stellen Sie sich einen Naturwissenschaftslehrer an einer Highschool vor, der Materialien für eine blinde Schülerin namens Maya vorbereitet. Der Lehrer:
- Fordert Lehrbuch und Kapitel-PDFs sechs Wochen vor Kursbeginn an.
- Führt mit Maya eine Lernmedienbewertung durch und stellt fest, dass sie Braille für Text und Audio für Vorlesungen bevorzugt.
- Verwendet RoboBraille, um Vorlesungsfolien in zugängliche Formate umzuwandeln, und beauftragt einen Transkriptor mit der Erstellung taktiler Versionen wichtiger Diagramme.
- Führt einen Barrierefreiheitscheck für die digitalen Materialien aus, fügt Alternativtext und korrekte Überschriften hinzu und sorgt für einen guten Kontrast.
- Bietet sowohl eine Braille-Version des Textes als auch eine Audioversion über DAISY-Dateien.
- Plant eine Sitzung mit Maya, um die Navigation über ihren Bildschirmleser und die aktualisierbare Braillezeile zu lehren.
Während des Kurses sammelt der Lehrer Mayas Feedback, nimmt Anpassungen vor und stellt sicher, dass sie mit ihren Mitschülern mithalten kann.
Hier gibt es keinen externen Link.
Abschließende Gedanken und nächste Schritte
Die Bereitstellung barrierefreier Lesematerialien ist keine einmalige Maßnahme, sondern ein kontinuierliches Engagement für Inklusion. Durch die Kombination bewährter Designpraktiken, durchdachter Formatauswahl und Feedbackschleifen können wir blinden und sehbehinderten Schülern einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung ermöglichen.
Die nächsten Schritte könnten in Ihrer Situation die Prüfung Ihrer aktuellen Materialien auf Barrierefreiheit, die Planung einer Sprachlernstunde mit einem Spezialisten oder die Pilotierung dualer Medienformate (Braille + Audio) in einer Klasse sein. Mit der Zeit werden sich Ihre Arbeitsabläufe verbessern und Barrierefreiheit wird zu Ihrer Standardpraxis, anstatt zusätzliche Arbeit zu verursachen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Formate sollte ich Studierenden mit Sehbehinderung zur Verfügung stellen?
Sie sollten versuchen, je nach den Bedürfnissen der Schüler Braille, Großdruck, digital zugänglichen Text, Audio (z. B. DAISY) und taktile Grafiken oder Beschreibungen bereitzustellen.
Wie hilft eine Lernmedienbewertung (LMA)?
Mithilfe einer LMA lässt sich bestimmen, welche Formate (visuell, taktil, auditiv) ein Schüler am effektivsten nutzen kann, und so die Auswahl zugänglicher Materialien steuern.
Reicht Audio für die Lese- und Schreibkompetenz aus?
Audio ist nützlich, reicht aber allein nicht aus; Braille- oder taktiles Lesen unterstützt Rechtschreibung, Zeichensetzung und vertiefte Lese- und Schreibfähigkeiten.
Welche Tools können die Konvertierung in zugängliche Formate vereinfachen?
Tools wie RoboBraille, integrierte Barrierefreiheitsprüfer (Word, Acrobat) und barrierefreie Authoring-Plattformen helfen dabei, Teile der Konvertierung zu automatisieren.
Wie kann ich Diagramme oder Schaubilder barrierefrei gestalten?
Sie können taktile Grafiken verwenden, detaillierte verbale Beschreibungen bereitstellen oder interaktive Tools wie TADA nutzen, um Diagramme auf zugängliche Weise darzustellen.